Transformationale Objekte
Experience Design Seminar | SoSe 2012 | 19 Studierende | 9 CP
„Das wollte ich schon immer mal angehen!“ Dieser Satz ist uns allen geläufig. Wir nehmen uns Dinge vor, die wir gern erreichen würden. Mehr zu lesen, doch wir sitzen vor dem Fernseher; mehr Fahrrad fahren, doch wir fahren mit dem Auto zum Lokal um die Ecke.Transformationale Produkte haben das Ziel, menschliches Handeln beim Erreichen von persönlichen Zielen einzubeziehen und die Willenskraft so zu beeinflussen, dass langfristige Ziele erreichbar werden. Diese Produkte gilt es zu gestalten und neue Wirkungsprinzipien zu erforschen.
Zunächst identifizierten die 19 Kursteilnehmer ein persönliches Ziel von sich selbst oder einer nahestehenden Person (z.B. Mitbewohner, Schwester). Danach entwickelten die Studierenden verschiedene Konzepte, von denen jeweils eins in der Form eines funktionalen Prototypens umgesetzt wurde. Dieser wurde mit einer Person über den Zeitraum von zwei Wochen von den Studierenden selbstständig evaluiert. Dabei war vornehmlich das Ziel, eine intendierte Veränderung von Handlungsweisen zu belegen und den Einfluss des Objektes auf die Lebenswelt zu erforschen.
DokuTrans
Tobias Ellinger
Erinnern Sie sich an den letzten Brief, den Sie in Ihrem Briefkasten hatten? Sicherlich war neben der Werbung auch eine Rechnung, ein Schreiben vom Finanzamt oder eine andere wichtige Sache dabei. Im Flur geöffnet landen die Unterlagen selten in dem entsprechenden Ordner und die mit dem Schreiben verbundene Frist oder Zahlungsaufforderung wird auch nicht sofort erledigt. Zwischen Eintreffen der Post und der eigentlichen Handlung vergeht häufig eine gewisse Zeit. Erst wenn sich viele Briefe stapeln, fängt man an sie durchzuarbeiten. So manche Frist ist da schon verstrichen und der eigentliche Aufwand wird noch viel größer.
DokuTrans greift dieses Phänomen auf. Die Pinnwand bietet Platz für alle eintrudelnden Dokumente. Mit Hilfe von Magneten werden die Dokumente an der Pinnwand befestigt und man behält so einen Überblick über die Dokumente. Dringende Dokumente pinnt man am Besten in die Mitte, etwas unwichtigere Schreiben nach ganz unten. Doch im Unterschied zu jeder gewöhnlichen Pinnwand, die ähnliche Vorteile bietet, wandern bei DokuTrans die Dokumente von Tag zu Tag etwas weiter an den oberen Rand der Pinnwand. Vergleichbar mit der Frist, die sich hinter den Dokumenten verbirgt, bewegen sich auch die Dokumente einem Ende entgegen. Beachtet man die Dokumente nicht, stauen sie sich am oberen Rand auf. Wo zuvor eine ganze Weile Übersicht und Ordnung herrschte, verursacht DokuTrans nach einer gewissen Zeit wieder Chaos. Es versucht auf ironische Art und Weise mit dem anfallenden Dokumenten umzugehen. Die verknickten und verdrehten Dokumente zeigen, dass es immer noch des Einsatzes ihres Adressaten bedarf. DokuTrans kann über eine lange Zeit Ordnung und Übersicht verschaffen. Täglich an die sich bewegenden Dokumente erinnern. Doch die eigentliche Handlung bleibt in der Verantwortung seines Nutzers.
Greenstuff Glory
Constanze Schlüter
Jeder weiß, dass Gemüse gesund ist. Doch zwischen Wissen und einem gesunden Snack aus Gemüse liegt eine Menge „Geschnibbel“. Und genau dieser Umstand hindert den Teilnehmer Thorsten daran sich ans Gemüse zu wagen. Übernimmt jemand anderes das Waschen und Schneiden des Gemüses, isst er voller Genuss Tomaten, Paprika und Co. Doch selbst hat er wenig Motivation. Dennoch möchte er anstelle ungesunder Snacks am Abend etwas Gesundes essen. Greenstuff Glory von Constanze Schlüter ist eine Art Anleitung für Gemüse-Origami. Mit nur 15 Schnitten (manchmal sind es auch wenige Schnitte mehr), baut Thorsten kleine Figuren aus Gemüse. Constanze gestaltete alle Rezepte so, dass der notwendige Aufwand von Anfang an transparent ist und so gering wie möglich bleibt. So konnte Thorsten selbst erfahren, dass die Zubereitung von Gemüse weder aufwendig noch zeitraubend ist. In einer Testphase von zwei Wochen konnte Thorsten alle Rezepte testen und war am Ende davon überzeugt weiter fleißig zu schnibbeln. Er empfand die Gemüse-Figuren mit Namen wie „Toller Roller“ oder „Lazy Löffler“ nicht nur als ansprechend und lustig, sondern auch als sehr lecker.
Paul 10
Severin Luy
Der Heißhunger auf Süßigkeiten ist ein Verlangen, dem man häufig nur schwierig wiederstehen kann. Man sitzt beispielsweise am Schreibtisch und grübelt über der einen oder anderen Aufgabe oder muss eine stupide Fleißarbeit fertigstellen. Da kann eine Tüte Chips nicht schaden, oder? Und ist die Tüte mal geöffnet am Schreibtisch angekommen, verlässt sie diesen meistens nicht mehr. Nebenbei verputzt man den gesamten Inhalt und eigentlich bekommt man gar nicht mit, dass man alles vollständig aufgegessen hat. Grundsätzlich spricht nichts dagegen. Doch häufig hat man den Wunsch weniger Süßigkeiten zu essen (gesund sind sie ja nicht gerade). Und wenn man mal zugreift, sollte man sie besser auch bewusst genießen. Genau dieses Gefühl beschreibt Sebastian, der Teilnehmer von Severin Luy. Damit Sebastian nicht mehr so viel und dazu noch bewusster „snackt“, hat Severin Paul 10 gestaltet. Paul 10 ist eine Schüssel, in die Chips, Popcorn aber auch Weingummis oder Schokolade gefüllt werden können. Sie bietet reichlich Platz und kann auf den Schreibtisch gestellt werden. Die Schüssel hat einen Deckel, der wie ein Maul aussieht und zunächst verschlossen ist. Greift man nach der Schüssel um sich etwas zu nehmen, öffnet sich der Deckel und man kann zugreifen. Doch Paul 10 öffnet sein „Maul“ nicht immer und schon gar nicht schnell hintereinander. Greift man zu häufig hintereinander nach der Schüssel, dreht er die Öffnung weg und ist „beleidigt“. Schließlich hat man ihm und den Süßigkeiten relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Erst nach einer Weile wendet er sich wieder zu und man kann wieder zugreifen. Doch wenn man es gar nicht aushalten kann, lässt sich Paul das Maul auch „gewaltsam“ öffnen.
Severin spielt in seinem Projekt mit dem Heißhunger auf Süßigkeiten und dem Wunsch, weniger und bewusster zu essen. Paul 10 strukturiert das unbewusste „Reinschaufeln“ und stupst seinen Nutzer an, sein Verhalten zu überdenken, wenn er das gemeinsame Ziel erreichen möchte. Dennoch lässt Paul 10 genug Möglichkeiten zum Umgehen seiner Vorschläge und versucht bei seinen Einwänden humorvoll zu sein. Sebastian hatte die Möglichkeit Paul in einer zweiwöchigen Testphase zu nutzen. Das Ergebnis war, dass Sebastian nicht unbedingt weniger, aber bewusster Süßigkeiten isst. So wird die Tüte Chips nicht innerhalb von 5 Minuten aufgegessen, sondern in einem Zeitraum von einer halben Stunde. Sebastian wusste nicht, ob diese Verlängerung unbedingt dazu führt, dass er weniger ist. Dennoch freute er sich über die Veränderung seines Verhaltens.
stayfriends;)
Johannes Kunz
stayfriends;) will dabei helfen und dazu motivieren, mit guten Freunden, die z.B. aus beruflichen Gründen nicht mehr im unmittelbaren Umfeld sind, den Kontakt zu halten und die Freundschaft zu pflegen. Das Konzept besteht aus der Kombination aus einer Smartphone-App und einem speziellen Drucker, der auf ein Poster an der Wand druckt. Die App fordert dazu auf, per SMS Kontakt aufzunehmen und sich zu einem Treffen zu verabreden. Auf dem Poster wird alles grafisch dokumentiert. Gesendete und empfangene Nachrichten werden kreisförmig entsprechend der Zeit, zu der sie geschrieben wurden gedruckt. Schreibt man dem Freund/der Freundin nicht und drückt die Benachrichtigung einfach weg, werden die letzten 160 Zeichen auf dem Plakat geschwärzt. Dabei wird auf dem entstehenden Plakat farblich unterschieden, ob der Nutzer selbst Ausgangspunkt für die Kommunikation war oder ob er von der App dazu aufgefordert wurde.
Das interaktive Plakat fördert gutes und bemängelt schlechte Handlungsweisen in Hinblick auf das Aufrechterhalten der Freundschaft. Ist der Nutzer im regen Kontakt mit dem Freund/ der Freundin, so zeigt sich dies durch ein sehr volles und buntes Plakat an der Wand. Schreibt er nur SMS wenn die App dazu auffordert oder meldet er sich gar nicht, ist das Poster sehr leer und es gibt viele geschwärzte Stellen. In jedem Fall bekommt der Nutzer eine gut sichtbare Rückmeldung und kann sein Handeln nachvollziehen. Wenn es gerade nicht passt, kann der Nutzer die Aufforderungen auch einfach wegdrücken, was allerdings Konsequenzen hat, da es auf dem Plakat vermerkt wird. Das Programm bemerkt nicht, ob eine Nachricht abgesendet wird oder nicht, somit lässt sich auch damit das Ergebnis verfälschen. Der Nutzer kann, wenn er gar nicht weiß, was er schreiben soll, auch einfach irgendwas schreiben, das aber nicht absenden. Der einzige Nachteil ist, dass auch das auf dem Plakat erscheint. Ein Nachteil des Konzeptes könnte die mangelnde Autonomie sein. Es stellt sich die Frage, wer den Kontakt zum einem Freund aufrechterhält: Die App oder man selbst. Die Kommunikation könnte durch das Produkt sehr gezwungen und unnatürlich wirken, eventuell fordert die App zu viel Kontakt.